|  | "Hochgeschwindigkeit"
und "Beschleunigung" sind die Schlüsselwörter unserer Epoche,
"Eilkrankheit" ist die pathologische Diagnose ihrer
Leistungsgesellschaft. Je beschleunigter das Tempo, desto mehr
Verkehrsunfälle geschehen; je mehr Stress herrscht, desto schwächer ist
das Immunsystem, desto größer wird die Zahl der Krankheiten und
Umweltallergien. Die Eilkrankheit, die eine neue Gesellschaftskrankheit
ist, lässt sich mit einem Wort benennen: Zeitnot. Wenn das Gefühl,
unter Zeitdruck zu stehen, extrem und zur Gewohnheit wird - wenn
Menschen sich gezwungen fühlen, sich auch ohne echten äußeren Zeitdruck
ständig zu beeilen -, dann führt das unter Umständen zu Symptomen, die
unter dem Namen Eilkrankheit zusammengefaßt sind. Die Zahl der
Burn-outs steigt stetig, Panikattacken nehmen zu, Angst im Verbund mit
Depression gehört mittlerweile zur vierthäufigsten Todesursache in
westlichen Industriestaaten und wird im Jahr 2020 nach den Herz
Kreislauf-Erkrankungen zur zweithäufigsten aufsteigen. |
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"Wenn
ein
totalitäres Regime sich dadurch auszeichnet, dass seine Untertanen
nachts schweißgebadet, mit rasendem Puls und dem Gefühl
einer
tonnenschweren Last auf der Brust, ja mit existenzieller Angst,
aufwachen, dann leben wir in einem totalitären Zeitregime. Vermutlich
kennen dieses Gefühl mehr Bürger spätmoderner, kapitalistischer
Gesellschaften als Untertanen fast aller politischer
Diktaturen. Die
spätmoderne Angst gilt nicht dem Geheimdienst oder den Schergen eines
Tyrannen. Die Subjekte wachen auf aus Sorge, nicht mehr mitzukommen,
nicht mehr auf dem Laufenden zu sein, die Aufgabenlast nicht mehr
bewältigen zu können, abgehängt zu werden - oder in der erdrückenden
Gewissheit, (etwa als Arbeitslose oder Ausbildungsabbrecher) bereits
abgehängt zu sein." (Hartmut Rosa)
Und im
Bemühen, jederzeit zu
funktionieren, werden die Akteure zu
Egoisten und entfremden sich immer mehr voneinander. Sie
finden keine
Zeit mehr, Freundschaften zu pflegen, einen Lebenspartner zu suchen, zu
heiraten und Kinder in die Welt zu
setzen. Wer sollte
sich um die auch
kümmern? Der Fernseher, der Computer, die Ganztagsschule? Dass in
vielen Fällen die ersten beiden Möglichkeiten real genutzt werden,
erschreckt nur noch am Rande. Immer bereit,
dank Handy und
Laptop jederzeit erreichbar und interaktionsfähig, gelingt dem modernen
Menschen selbst in der Freizeit kein abschalten. Der Begriff allein ist
verräterisch, setzt er doch den Menschen mit der Maschine gleich und so
wie die Industrie für 24-Stunden Maschinen-Laufzeiten kämpfte, erwartet
die Wirtschaft auch vom Menschen eine fast 24-stündige Verfügbarkeit.
Wenn es die Technik möglich macht, wird der Mensch gezwungen, ihr zu
folgen, denn Zeit ist Geld und alles muss möglichst just in time
erledigt werden. Dabei hat sich die Konkurrenz durch die moderne
Technik und die Öffnung der Märkte zusätzlich entgrenzt. Es ist
inzwischen nicht nur jeder ein Konkurrent, nein, er ist es auch zu
jeder Zeit. Wenn Geld bekanntlich nicht schläft, wie kann es sich dann
der Mensch leisten, eine Entwicklung zu verschlafen? |
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